Wertsicherung im Mietrecht: Zwischen Klarheit und Krisenstimmung
Die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu Wertsicherungsklauseln hat in der Branche hohe Wellen geschlagen. Doch nicht jede Sorge ist berechtigt: Die Verfassungsmäßigkeit zentraler Schutzbestimmungen wurde zwar bestätigt, die konkrete Wirksamkeit einzelner Klauseln bleibt aber eine Frage des Einzelfalls. Ein Blick auf die aktuelle Rechtsprechung zeigt: Vermieter:innen sind gut beraten, ihre Vertragsgestaltung zu prüfen – aber Panik ist fehl am Platz.

Wertsicherungsklauseln vor dem VfGH – und im medialen Kreuzfeuer
"Das ist vom Potenzial her die Möglichkeit, Österreich wirklich in eine Wirtschaftskrise zu bringen." – Michael Pisecky, Fachgruppenobmann der Immobilien- und Vermögenstreuhänder, ORF 15.07.20251
"Hunderttausende Mieter könnten nun Geld fordern." – Heute, 16.07.20252
"Ein Unternehmen verliert also überhaupt die Möglichkeit, in einem Mietvertrag mit einem Konsumenten den Mietzins an die Inflation anzupassen." – Der Standard, 11.07.20253
Die mediale Reaktion auf die VfGH-Entscheidung vom 24. Juni 20254 war drastisch. Von einem juristischen Erdbeben ist die Rede, von Millionenforderungen gegen Vermieter, ja sogar von einem drohenden volkswirtschaftlichen Flurschaden. In der Politik wird bereits an gesetzlichen Anpassungen gearbeitet: Ein erster Entwurf sieht etwa vor, Rückforderungsansprüche auf drei Jahre ab Kenntnis – und längstens fünf Jahre ab Zahlung – zu begrenzen.5 Abseits der Schlagzeilen verdient die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs aber eine differenziertere Betrachtung.
Was hat der VfGH entschieden?
Tatsächlich hat der VfGH in der Entscheidung G 170/2024 lediglich die Verfassungsmäßigkeit von § 6 Abs 2 Z 4 KSchG und § 879 Abs 3 ABGB bestätigt. Beide Bestimmungen stehen seit Jahrzehnten im Zentrum des zivilrechtlichen Verbraucherschutzes: Während § 6 Abs 2 Z 4 KSchG Preisanpassungen innerhalb von zwei Monaten nach Vertragsabschluss nur bei ausdrücklicher Individualvereinbarung erlaubt, schützt § 879 Abs 3 ABGB allgemein vor gröblich benachteiligenden Vertragsklauseln in AGB und Vertragsformblättern. Die Entscheidung des VfGH bezieht sich auf einen Normenkontrollantrag zweier gewerblicher Vermieter:innen, die eben diese Vorschriften für verfassungswidrig hielten, da sie ihrer Ansicht nach in unzulässiger Weise in die Privatautonomie eingreifen. Das Höchstgericht hat diese Argumentation jedoch zurückgewiesen und klargestellt, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, Konsument:innen in der Frühphase eines Vertragsverhältnisses vor überraschenden Preisänderungen zu schützen.6
Weder hat der VfGH jedoch über die Zulässigkeit konkreter Wertsicherungsklauseln entschieden, noch wurden Rückforderungsansprüche geprüft. Die Frage, ob eine bestimmte Klausel rechtswidrig ist oder ob ein Mieter Teile der Miete zurückverlangen kann, bleibt ohnehin den ordentlichen Gerichten überlassen.
Der OGH konkretisiert die Grenzen der Zulässigkeit
In mehreren Entscheidungen der letzten beiden Jahre hat sich der Oberste Gerichtshof intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, welche Voraussetzungen eine Wertsicherungsklausel in Mietverträgen erfüllen muss, um wirksam zu sein – insbesondere gegenüber Konsument:innen im Sinne des KSchG.
Anwendbarkeit des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG auf Wertsicherungsklauseln
Die Entscheidungen 2 Ob 36/23t7 und 8 Ob 37/23h8 liefern wesentliche Klarstellungen: Der OGH bestätigt, dass das Verbot des § 6 Abs 2 Z 4 KSchG auch für Wertsicherungsklauseln in Mietverträgen gilt, sofern sie bei kundenfeindlichster Auslegung9 innerhalb von zwei Monaten nach Vertragsabschluss zu einer Preiserhöhung führen können und sie nicht im Einzelnen ausverhandelt wurden. Die Beweislast für eine zulässige Individualvereinbarung liegt beim Unternehmer; reine Hinweise auf Verhandlungsspielraum oder Änderungsmöglichkeiten reichen nicht. Es bedarf eines nachweisbaren tatsächlichen Einflusses des Verbrauchers auf die konkrete Klauselgestaltung.
Unzulässigkeit rückwirkender Klauseln – neue Facette der Unwirksamkeit
Bemerkenswert an der Entscheidung 8 Ob 37/23h ist darüber hinaus ein weiterer Aspekt, der bislang in der Debatte kaum beachtet wurde: Die Unzulässigkeit rückwirkender Wertsicherungsklauseln.
In dem zugrundeliegenden Fall wurde der Mietzins primär an den gesetzlich normierten Richtwert gemäß § 5 RWG gebunden. Eine Anpassung sollte mit Neufestsetzung der Richtwerte ausgehend von dem im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Richtwert erfolgen. Da die Erhöhung des Richtwerts aber auch darauf zurückzuführen sein kann, dass es schon in der Zeit vor Abschluss des Mietvertrags zu einem Anstieg des Preisniveaus gekommen ist, würde dies eine nachträgliche Anhebung des auf dieser Grundlage bereits vereinbarten Mietzinses bedeuten. Diese Regelung stelle eine gröbliche Benachteiligung im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB dar und sei daher unabhängig vom Anpassungszeitpunkt in ihrer Gesamtheit unzulässig.10
Diese Klarstellung ist praxisrelevant: Wertsicherungsklauseln, die so ausgestaltet sind, dass sie den Anfangsmietzins an eine bereits vor Vertragsabschluss eingetretene Inflation anpassen könnten, können auch dann unwirksam sein, wenn die Preisänderung tatsächlich erst nach Ablauf von zwei Monaten eintritt.
Teilbarkeit von Klauseln als rettender Anker
Eine für Vermieter:innen in mehrfacher Hinsicht positive Entwicklung ergibt sich aus der Entscheidung 8 Ob 81/24f, in der der OGH erstmals ausdrücklich betont, dass Wertsicherungsklauseln teilbar sein können. Eine Unwirksamkeit einzelner Elemente – etwa eines Schwellenwerts oder einer Ersatzregelung für den gewählten Index – führt demnach nicht zwingend zur Gesamtnichtigkeit der Klausel, sofern die einzelnen Teile sprachlich und inhaltlich trennbar sind. Dadurch wird klargestellt, dass eine Wertsicherungsklausel auch dann Bestand haben kann, wenn lediglich ein Teilaspekt nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Damit stärkt die Entscheidung die Rechtssicherheit für Vermieter:innen und trägt zur Differenzierung in der Beurteilung komplexer Klauselgestaltungen bei.
Außerdem hat der OGH in 8 Ob 81/24f auch betont, dass bereits der Wortlaut der Klausel entscheidend sein kann, um einen Verstoß gegen § 6 Abs 2 Z 4 KSchG zu vermeiden. Vereinbaren die Vertragsparteien etwa eine erste Wertanpassung zu einem fixen Zeitpunkt, der deutlich nach Ablauf der Zwei-Monats-Frist liegt – wie etwa „erstmals mit Jänner des Folgejahres“ – so kann damit schon nach dem klaren Vertragsinhalt ausgeschlossen werden, dass innerhalb der Frist von zwei Monaten eine Anpassung erfolgen könnte. Eine solche Formulierung kann also genügen, um die Anforderungen des Konsumentenschutzrechts zu wahren, wesentlich für die Beurteilung ist dann aber der Zeitpunkt des Vertragsschlusses.11 Eine Wertsicherungsklausel mit jährlicher Anpassung „zum 1. Jänner“ ist etwa unproblematisch, wenn der Vertrag im Mai oder Juli abgeschlossen wurde – die erste Erhöhung fällt dann naturgemäß außerhalb des Zweimonatszeitraums.
Was bedeutet dies für die Praxis?
Die Sorge vor einer „Klauselwelle“ oder gar Rückforderungsflut ist angesichts der medialen Berichterstattung zwar nachvollziehbar aber weitgehend unberechtigt. Ob eine konkrete Wertsicherungsklausel unzulässig ist, hängt stets vom jeweiligen Einzelfall ab, insbesondere von Zeitpunkt und Modalität der ersten möglichen Entgeltänderung sowie der konkreten sprachlichen Fassung.
Mietverträge, die eine wertgesicherte Anpassung des Hauptmietzinses jährlich zu einem fixen Stichtag vorsehen, sind vielfach unbedenklich, wenn der Vertragsabschluss nicht in unmittelbarer Nähe dieses Termins liegt. Ebenso lässt die Judikatur Spielräume offen, um lediglich Teilaspekte zu eliminieren, ohne die gesamte Vertragsklausel zu Fall zu bringen.
Unsere Empfehlung
Auch wenn die Debatte hitzig geführt wird: Nicht jede Vertragsklausel, die eine Wertsicherung vorsieht ist problematisch. Umso wichtiger ist es, jetzt nicht zu spekulieren, sondern Klarheit zu schaffen. Eine fachkundige Prüfung bestehender Mietverträge ist sinnvoll – und wir unterstützen Sie dabei gerne mit juristischer Expertise und Praxisnähe.
Das Bild wurde mit mittels KI-Tool erstellt.
1 ORF, Wertsicherung bei Miete - VfGH-Spruch lässt Wogen hochgehen, https://orf.at/stories/3399777/ (17.07.2025);
2 Heute, Hunderttausende betroffen Wirbel um VfGH-Urteil – Vermieter zittern vor Folgen, https://www.heute.at/s/wirbel-um-vfgh-urteil-vermieter-zittern-vor-folgen-120119428 (17.07.2025);
3 Der Standard, VfGH-Entscheid: Wertsicherungsklausel in Mietverträgen kann ungültig sein, https://www.derstandard.at/story/3000000279048/vfgh-entscheid-wertsicherungsklausel-in-mietvertraegen-kann-ungueltig-sein (17.07.2025);
4 VfGH 24.06.2025, G 170/2024, G 37-38/2025;
5 ORF, Wertsicherung bei Miete, https://orf.at/stories/3399777/;
6 VfGH 24.06.2025, G 170/2024, G 37-38/2025.
7 OGH 21.03.2023, 2 Ob 36/23t;
8 OGH 24.05.2023, 8 Ob 37/23h;
9 Im Individualverfahren gilt der für Verbandsverfahren geltende Grundsatz der kundenfeindlichsten Interpretation nicht, es ist die für den Verbraucher günstigste Auslegung ausschlaggebend (RIS-Justiz RS0016590 [T32]);
10 OGH 24.05.2023, 8 Ob 37/23h.
11 OGH 27.02.2025, 8 Ob 81/24f.