Longevity – Länger und gesünder leben: Ein Blick aus der Perspektive eines Apothekers

Die Frage, wie wir unser Leben verlängern und gleichzeitig die Lebensqualität im Alter erhalten können, beschäftigt Menschen seit jeher. Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und Trends wie "Healthy Aging" und "Biohacking" eröffnen uns neue Möglichkeiten, unsere Gesundheit aktiv mit zu gestalten. Doch was kann jeder Einzelne tun, um nicht nur älter zu werden, sondern auch im Alter gesund zu bleiben? In diesem Artikel beleuchte ich Aspekte wie Resilienz, mentale Gesundheit, die Bedeutung der genetischen Ausstattung sowie die Rolle von Ernährung und den sogenannten "Blue Zones" – Regionen der Welt, in denen Menschen besonders alt werden.

Our Yearly Focus
Healthy Aging: Die Kunst des gesunden Alterns

Healthy Aging beschreibt die Fähigkeit, auch im Alter physisch und mental gesund zu bleiben. Ein zentraler Faktor dabei ist die Prävention. Studien zeigen, dass regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und soziale Interaktionen entscheidend sind. In der Apothekenpraxis sehe ich oft die Folgen des passiv ausgelegten Alterns, welche sich oft in Übergewicht, hohem Blutdruck, erhöhten Triglyceridwerten und einer erhöhten Insulinausschüttung zeigen.

Praktische Tipps für den Alltag:

  • Regelmäßige Bewegung: Bereits 30 Minuten moderate Kardioeinheiten zweimal die Woche, wie Spaziergänge, Radfahren oder Langlaufen, reichen aus, um Herz und Kreislauf zu stärken. Der Puls sollte bei diesen Einheiten soweit erhöht werden, dass es einem schwer fällt nebenbei eine Konversation zu führen. Dies kann als Orientierung dienen, wenn zur Überwachung des Pulses keine elektronischen Gerätschaften verwendet werden. Damit für eine Fettverbrennung auch genügend Muskelmasse vorhanden ist, sollte zweimal die Woche Resistenztraining mit Gewichten durchgeführt werden.  
  • Ausgewogene Ernährung: Eine Ernährung, die reich an frischem Obst, Gemüse und gesunden Fetten ist, unterstützt nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Gesundheit. Bei der Auswahl der Kohlenhydrate ist darauf zu achten, dass komplexen Kohlenhydraten – wie sie in Vollkornprodukten, Haferflocken und Nüssen vorkommen – gegenüber einfach Zuckern z.B. in Weißbrot der Vorzug gegeben wird. Diese komplexen Kohlenhydrate haben den Vorteil, dass sie den Blutzuckerspiegel langsamer und über einen längeren Zeitraum ansteigen lassen und so ein Energiedepot für die Zeit zwischen den Mahlzeiten bereitstellen. Weiters dienen sie als Ballaststoffe und kommen so der Verdauungsfunktion zugute. Als Jausen Klassiker sind hier kalte Kartoffeln mit Topfen und Leinöl zu nennen!
  • Soziale Kontakte: Isolation kann die mentale und körperliche Gesundheit beeinträchtigen. Das aktive Pflegen von Beziehungen ist daher auch essenziell für den Erhalt der geistigen Gesundheit.
 
Biohacking: Optimierung durch kleine Schritte

"Biohacking" bezeichnet Methoden, mit denen Menschen gezielt ihre körperliche und mentale Leistungsfähigkeit verbessern wollen. Dies reicht von Ernährungsanpassungen über Schlafoptimierung bis hin zu Nahrungsergänzungsmitteln.

Ein sehr bekanntes Beispiel in diesem Bereich das man selber mit kleinem Aufwand durchführen kann, ist das Intervallfasten. Bei dieser Method werden aktiv die Essenszeiten, aber nicht zwingend die Essensmenge(!) gezielt eingeschränkt, um Stoffwechselprozesse anzukurbeln. Es konnte so zum Beispiel gezeigt werden, dass das Intervallfasten entzündungshemmend wirkt und die Zellregeneration fördern kann. Eine beliebte Variante des Intervallfastens ist die 16:8 Methode. Hierbei wird die Tageskalorienanzahl innerhalb von 8 Stunden in zwei Mahlzeiten konsumiert. In den verbleibenden 16 Stunden des Tages wird dem Körper keine Energie mehr zugeführt. Um dem Körper eine gewisse Eingewöhnungszeit zu geben, kann man gerne mit 12 Stunden Fastenzeit anfangen und sich dann jede Woche um 30 Minuten steigern. Durch das Fasten werden im Körper Autophagie Vorgänge eingeleitet, die einem Selbstreinigungsprozess der Zellen gleichkommen. Zell-Müll und Stoffwechselendprodukte können so leichter abgebaut und entsorgt werden. Stellen Sie sich diesen Prozess wie das Reinigen eines Dieselpartikelfilters auf einer langen Autobahnfahrt vor.

Auch Nahrungsergänzungsmittel spielen eine Rolle im Biohacking. Besonders Substanzen wie Resveratrol, welches in Rotwein und Trauben enthalten ist oder Coenzym Q10 werden für das Optimieren von Stoffwechselprozessen aufgrund ihrer antioxidativen und energiebereitstellenden Wirkung angewendet.

In den letzten Jahren wird auch immer wieder diskutiert, welche Rolle das körpereigene Polyamin Spermidin für den Alterungsprozess einnimmt. Dieser Stoff kommt in allen Zellen des menschlichen Körpers vor und spielt eine wichtige Rolle in der Zellerneuerung. Da er allerdings im Laufe unseres Lebens immer mehr abnimmt, wird von der Überlegung ausgegangen, den Stoff gezielt zu sich zu führen um eine Zellverjüngung im ganzen Körper einzuleiten. Eine Grazer Forschungsgruppe hat sich auf diesem Themengebiet spezialisiert und vertreibt auch ein kommerziell erfolgreiches Produkt dazu. Große Studien damit sind allerdings noch ausständig, somit kann eine endgültige Antwort zur Wirkung derzeit noch nicht gegeben werden.

Als Apotheker rate ich vor der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln immer eine individuelle Beratung in Anspruch zu nehmen, da die Kombination mit einer bestehenden Medikation sowie der gesundheitliche Benefit durch die Supplementation vorab besprochen werden muss.

Eine weitere moderne Methode des Biohacking ist die Kryotherapie. Bei dieser Methode wird der Körper in Eiskammern für kurze Zeit extrem niedrigen Temperaturen von bis zu minus 110°C ausgesetzt. Diese Methode soll entzündungshemmend wirken, die Durchblutung verbessern und die Regeneration fördern. Kryotherapie wird bereits in der Sportmedizin und bei chronischen Schmerzen eingesetzt.

Zusätzlich spielt der Schlaf eine zentrale Rolle. Biohacker verwenden Technologien wie Schlaftracker, um die Schlafqualität zu analysieren und zu verbessern. Ein konsistenter Schlaf-Wach-Rhythmus und die Reduktion von Störungen durch blaues Licht vor dem Schlafengehen sind einfache, aber wirkungsvolle Maßnahmen.

 

Latente Entzündungen: Eine unsichtbare Gefahr

Latente oder chronisch niedrige Entzündungen sind ein unterschätzter Risikofaktor für viele altersbedingte Krankheiten, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Demenz. Diese "stille Entzündung" entsteht oft durch ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Stress sowie Umweltfaktoren. Im klinischen Alltag wird das C-reaktive Protein/Peptid (CRP Wert) im Blut gemessen, welches bei einem Wert von > 10 mg/L einen Hinweis auf eine Entzündungsreaktion im Körper gibt. Werden empfindlichere Messmethoden (hochsensitive CRP Messung) verwendet, können auch Werte von 0-10 mg/L quantitativ ausgewertet und Rückschlüsse auf stille Entzündungen gezogen werden, welche mit einer herkömmlichen Diagnostik nicht erfasst werden können.

Wie lassen sich latente Entzündungen reduzieren?

  • Anti-entzündliche Ernährung: Lebensmittel wie fetter Fisch (reich an Omega-3-Fettsäuren), grünes Blattgemüse, Beeren und Kurkuma wirken entzündungshemmend.
  • Regelmäßige Bewegung: Bewegung senkt die Produktion entzündungsfördernder Zytokine.
  • Stressmanagement: Chronischer Stress kann Entzündungsprozesse ankurbeln. Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation helfen hier effektiv den Cortisol Spiegel zu senken.

Zusätzlich können entzündungshemmende Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel wie Omega-3-Fettsäuren und pflanzliche Polyphenole unterstützend wirken. Als Apotheker ist es mir wichtig, auf die Bedeutung einer umfassenden Prävention hinzuweisen. Latente Entzündungen können oft durch einfache Lebensstiländerungen reduziert werden, wie der vorhin beschriebenen Intervallfasten Methode.

 

Resilienz und mentale Gesundheit: Der Schlüssel zu einem langen Leben

Resilienz beschreibt die Fähigkeit, mit Stress und Rückschlägen umzugehen. Gerade im Alter ist diese Eigenschaft von Bedeutung, da Verluste und gesundheitliche Einschränkungen oft unvermeidbar sind. Resiliente Menschen neigen dazu, ihre Herausforderungen als Chancen wahrzunehmen und bleiben dadurch psychisch stabil.

Wie stärkt man Resilienz?

  • Achtsamkeit üben: Meditation oder Atemübungen helfen, Stress zu reduzieren.
  • Ziele setzen: Realistische Ziele geben dem Leben Struktur und Motivation.
  • Dankbarkeit kultivieren: Studien zeigen, dass Dankbarkeit die psychische Gesundheit fördert und die Lebenszufriedenheit steigert.

Mentale Gesundheit geht Hand in Hand mit Resilienz. Chronischer Stress und Depressionen können die Lebensqualität massiv beeinträchtigen. Prävention durch Stressmanagement und gegebenenfalls professionelle Hilfe sind essenziell.

Auch die Verbindung von Naturaufenthalten mit mentaler Gesundheit ist bemerkenswert. Forschungen zeigen, dass Zeit in der Natur Stress reduziert und die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert. Schonmal etwas von Waldbaden gehört?

 

Die Rolle der Gene: Wie beeinflusst die genetische Ausstattung unser Altern?

Unsere Gene spielen eine zentrale Rolle in der Frage, wie alt wir werden können. So konnten Gene identifiziert werden, die unter anderem mit Langlebigkeit assoziiert sind. Unter diesen Genen findet sich z.B. das FOXO3-Gen, welches neben der Regulation von zentralen Stoffwechselwegen auch für die Zellreparatur verantwortlich ist. Da das FOXO3-Gen hochkonserviert ist, kommt es in allen Menschen vor, dennoch werden aber nicht alle Menschen hundert Jahre alt. Um dieser Frage nachzugehen, wurde erst vor ein paar Jahren eine Studie durchgeführt um eventuelle Varianten dieses Genes in besonders alten Personen (90+) in Europa zu finden und untereinander zu vergleichen. Die Studienautoren kamen zu der Erkenntnis, dass bestimmte Abschnitte dieses Gens bei den analysierten Personen übereinstimmen und sich so von anderen Menschen unterscheiden. Ob diese Genvariationen den alleinigen Ausschlag für ein langes Leben geben, bleibt allerdings noch offen, denn Umweltfaktoren haben einen riesigen Einfluss auf die tatsächliche Ausprägung sowie Funktionalität von einzelnen Genen. Das heißt, dass wiederum der Lebensstil mitverantwortlich ist, um ein langes gesundes Leben genießen zu können.

Manche Erkrankungen werden auch mit einzelnen Genen in Verbindung gebracht. Dieser Umstand führt dazu, dass sich Firmen auf Gentests spezialisiert haben, die den Kunden eine Analyse ihrer genetischen Ausstattung anbieten. Auch wenn diese Analysen heute erschwinglicher und zugänglicher geworden sind als noch vor zehn Jahren, muss eine Genanalyse immer sehr kritisch betrachtet werden, da Umweltfaktoren einen großen Einfluss auf die Ausprägung von genetischen Erkrankungen haben. Das heißt, dass nur weil man Träger eines bestimmten Gens ist, muss es nicht automatisch zum Ausbrechen der damit assoziierten Erkrankung kommen. Weiters muss man sich als Konsument im Klaren sein, dass man durch die Abgabe der Probe an das jeweilige Unternehmen auch vulnerabel gegenüber dem Missbrauch seiner Patientendaten ist.

 

Medikamente mit potenziell lebensverlängernder Wirkung

Die Forschung zu Medikamenten, die das Altern verlangsamen oder die Lebensdauer verlängern können, hat in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen. Einige Substanzen stehen dabei besonders im Fokus:

  • Metformin: Dieses Medikament wird seit Jahrzehnten zur Behandlung von Typ-2-Diabetes eingesetzt. Studien legen nahe, dass Metformin entzündungshemmende und antioxidative Eigenschaften besitzt, die das Risiko für altersbedingte Krankheiten senken könnten.
  • Rapamycin: Ursprünglich als Immunsuppressivum entwickelt, zeigt Rapamycin in Tiermodellen beeindruckende Ergebnisse bei der Verlängerung der Lebensspanne. Es wirkt, indem es den mTOR-Signalweg hemmt, der mit Zellwachstum und Alterungsprozessen in Verbindung steht.
  • Senolytika: Diese noch experimentellen Medikamente zielen darauf ab, sogenannte "seneszente Zellen" zu entfernen – Zellen, die ihre Teilungsfähigkeit verloren haben und entzündungsfördernd wirken. Dadurch könnten altersbedingte Krankheiten reduziert werden.
  • Nicotinamid-Ribosid (NR) und NMN: Diese Substanzen zielen darauf ab, die NAD+-Spiegel im Körper zu erhöhen, die mit dem Alter abnehmen. NAD+ ist entscheidend für Zellreparatur und Energieproduktion.

Als Apotheker sehe ich das Potenzial dieser Ansätze, betone jedoch, dass die experimentelle Wirkung solcher Substanzen meist in Zellmodellen beschrieben wurde und klinische Humanstudien dann oftmals ausbleiben, da sich die postulierten Effekte im Menschen nicht wiederfinden lassen.

 

Die Blue Zones: Was wir von den ältesten Menschen der Welt lernen können

Die sogenannten "Blue Zones" sind Regionen, in denen Menschen besonders alt werden. Zu diesen Regionen gehören unter anderem Okinawa (Japan), Sardinien (Italien) und Nicoya (Costa Rica). Wissenschaftler haben untersucht, welche Faktoren das hohe Alter in diesen Regionen begünstigen.

Gemeinsamkeiten der Blue Zones:

  • Pflanzenbasierte Ernährung: Die Menschen in diesen Regionen essen hauptsächlich frische, unverarbeitete Lebensmittel.
  • Natürliche Bewegung: Sie bewegen sich regelmäßig im Alltag, z. B. durch Gartenarbeit oder Spaziergänge.
  • Starke soziale Bindungen: Familie und Gemeinschaft spielen eine zentrale Rolle.
  • Sinn im Leben: Ein klarer Lebenszweck (z. B. "Ikigai" in Japan) ist ein weiterer entscheidender Faktor.

Zusätzlich wird in diesen Regionen Alkohol in Maßen konsumiert, und der Stresspegel ist vergleichsweise niedrig. Die Kombination aus gesunder Lebensweise, mentaler Ausgeglichenheit und sozialen Strukturen scheint hier der Schlüssel zu sein.

 

Fazit

Langlebigkeit ist keine Frage des Zufalls. Durch bewusste Entscheidungen können wir unser Leben ganz natürlich verlängern und gleichzeitig damit die Lebensqualität steigern. Ob durch gezielte Ernährung, Resilienztraining oder Biohacking – die Ansätze sind vielfältig und können individuell an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden. Die genetische Ausstattung spielt dabei eine Rolle, jedoch der Lebensstil hat oft einen größeren Einfluss auf den tatsächlichen Gesundheitsoutcome im Alltag. Denn bei diesem Punkt ist sich die Lifescience Community einmal uneingeschränkt einig, dass Prävention besser als Behandlung ist.  

Von: Mag. pharm. Johannes Hochleitner, PhD
Veröffentlicht: 08.02.2025