Langlebigkeit und Verdauungssystem

Ein langes Leben zu führen ist ein verständlicher Wunsch der Menschheit. Derzeit scheint eine natürliche Grenze bei etwa 125 Jahren zu bestehen, die seit rund 30 Jahren überraschend stabil geblieben ist. Im Vergleich dazu liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in Österreich bei 84 Jahren für Frauen und 80 Jahren für Männer. Interessanterweise gibt es jedoch Regionen und Lebensweisen, in denen besonders viele Menschen ein hohes Alter erreichen, etwa in Griechenland, Italien, Japan, Costa Rica oder Kalifornien.

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Studien zeigen, dass Kinder von Eltern, die besonders alt wurden, ebenfalls eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, ein langes Leben zu führen. Dies hängt nicht nur von der Genetik ab, sondern auch von Faktoren wie Ernährung, Sportverhalten und der Gesundheitsaufklärung innerhalb der Familie. Gesundheitskompetenz, das Wissen über den eigenen Körper, seine Funktionen und die Zusammenhänge zwischen Lebensstil und Krankheiten, kann jedoch auch erlernt werden. Hier kommt der Schule eine besondere Verantwortung zu, indem sie ausreichend Zeit im Lehrplan für Gesundheitsbildung einplant, vor allem in den Altersgruppen, die dafür besonders empfänglich sind.

Später im Leben sorgt eine hohe Gesundheitskompetenz (erworben durch Quellen wie das Internet, Medien oder Volkshochschulen) für einen achtsamen Umgang mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Asthma. Ein weiteres Zeichen von Gesundheitskompetenz ist es, Vorsorge- und Früherkennungsangebote wahrzunehmen. Wenn es gelingt, im Alter Lebenssinn, Freundschaften und ein aktives Familienleben zu erhalten, trägt dies ebenfalls zur Förderung der Gesundheit bei.

Die Forschung hat inzwischen die Phänomene Zellalterung (Seneszenz), Zellregeneration (Autophagie) und Zellsterben (Apoptose) besser verstanden. Besonders das Thema Zellregeneration hat in der Wissenschaft großes Interesse geweckt. Man weiß, dass Zellen im laufenden Betrieb chemische Abfälle in Bläschen speichern, die nur während der Phase der Ruhe, der Autophagie, abgebaut werden können. Diese Phase kann durch Fasten über mehr als 14 Stunden oder durch das körpereigene biogene Amin Spermidin angestoßen werden. Spermidin wurde erstmals aus Samenflüssigkeit isoliert. Studien haben gezeigt, dass Fasten die Lebensdauer von niederen Lebewesen wie Würmern nahezu verdoppeln kann. Bei höheren Lebewesen fehlt der endgültige Beweis, da die Forschung an langlebigen Lebewesen schwierig ist.

Auf Basis dieser Erkenntnisse wurde das Konzept des Intervallfastens entwickelt. Dabei fastet man 16–20 Stunden und nimmt Nahrung nur in der verbleibenden Zeit zu sich (z. B. 16/8, 18/6 oder 20/4). Diese Methode erleichtert unter anderem die Gewichtsreduktion bei Übergewicht. Als man die ähnliche Wirkung von Spermidin ohne Fasten erkannte,1 war es nur logisch, nach Lebensmitteln mit hohem Spermidin-Gehalt zu suchen. Besonders gute Quellen sind Weizenkeime, Soja, gereifter Käse, Kürbiskerne, Pilze und Hülsenfrüchte. Es gibt bislang keine zugelassenen Medikamente mit Spermidin, auch wenn viele kommerzielle Nahrungsergänzungsmittel und Novel Foods auf dem Markt erhältlich sind.

Wahrscheinlich wirkt Spermidin durch eine Modifikation des Mikrobioms im Darm. Bei älteren, gesunden Menschen unterscheidet sich das Mikrobiom von dem der kürzerlebigen Personen: Es ist reicher, vielfältiger und weist mehr unterschiedliche Bakterienstämme auf. Besonders häufig wurde das Bakterium Akkermansia bei langlebigen Menschen nachgewiesen, während andere Bakterien wie Faecalibacterium, Bacteroidaceae und Lachnospiraceae in ihrem Verhältnis verringert waren.2

Heutzutage können diese nützlichen Bakterien in Form von Probiotika eingenommen werden, ebenso wie Präbiotika (Bakteriennahrung) oder eine Mischung aus beidem, den sogenannten Synbiotika. Auch tote Bakterien, die sogenannten Postbiotika, scheinen eine gewisse Wirkung zu haben. Allerdings fehlen noch seriöse Studien, die den Einfluss dieser Maßnahmen auf den Alterungsprozess belegen. Es ist jedoch möglich, durch eine entsprechende Ernährungsweise das Mikrobiom zu beeinflussen, wobei hier auch der Zusammenhang zu spermidinhaltigen Lebensmitteln gegeben sein könnte.

Aus Beobachtungsstudien wissen wir, dass rotes Fleisch, eine geringe Ballaststoffaufnahme und eine hohe Kalorienzufuhr (Übergewicht) mit dem Risiko für bestimmte Krebsarten und Arteriosklerose in Verbindung stehen. Dagegen haben Olivenöl und Omega-3-Fettsäuren (insbesondere in fettreichen Meeresfischen wie Hering, Lachs oder Makrele) eine gesundheitsfördernde Wirkung. Die wissenschaftliche Haltung zu Alkohol, insbesondere zu Rotwein, bleibt jedoch widersprüchlich. Viele der positiven Effekte finden sich in der mediterranen Ernährung und im Vegetarismus wieder.

Schlussfolgerung: Genetik, bestimmte Umweltfaktoren und sozioökonomische Gegebenheiten sind schwer bis gar nicht beeinflussbar, wenn es um die Lebensspanne geht. Hingegen können folgende Faktoren aktiv gesteuert werden: regelmäßiger Sport (mindestens 150 Minuten pro Woche mit einer trainingswirksamen Herzfrequenz), das Aufgeben des Nikotins, ein maßvoller Umgang mit Alkohol (20–30 g pro Tag), das Anstreben eines normalen oder nur leicht erhöhten BMI (25–28), sowie eine Ernährung reich an Gemüse, Obst, Salaten und Ballaststoffen (fünf Handvoll täglich, davon maximal zwei Handvoll Obst) und ausreichend Eiweiß (vorzugsweise aus Hülsenfrüchten und Fisch, weniger aus Fleisch). Es darf auch vermutet werden, dass die erfolgreiche Sinnsuche im Leben sowie anregende, empathische Kommunikation mit Freunden zusätzliche positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben.

Zur Person: Univ. Prof. Dr. Rainer Schöfl ist Internist und Gastroenterologe. Jahrzehntelang war er Leiter der Abteilung für Gastroenterologie & Hepatologie, Endokrinologie, Stoffwechsel und Ernährungsmedizin am Ordensklinikum in Linz. Mittlerweile ist er in privater Praxis im KH der Elisabethinen Linz und im Ärztezentrum Vortuna in Bad Leonfelden tätig. 

 

1 T Eisenberg et al., F Madeo: Nat Med 2016; 22(12): 1428–1438.

2 V D Badal, E D Vaccariello, E R Murray et al.: Nutrients 2020, 12, 3759.

Von: Dr. Rainer Schöfl
Veröffentlicht: 05.04.2025