Zur Adäquanz und Zurechnung von Folgeschäden in der jüngeren Judikatur

Am 6. Dezember 2019 hielt Ass.-Prof. Mag. Dr. Thomas Aigner einen schadenersatzrechtlichen Vortrag in unserer Rechtsanwaltskanzlei zum Thema Adäquanz und Zurechnung von Folgeschäden, dargestellt anhand jüngerer Judikatur. Die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden (durchaus kuriosen) Sachverhalte reichen von Verkehrsunfällen über Mobilfunkverträge zu Fällen der Arzthaftung sowie Produkthaftung (in concreto hinsichtlich einer Konservendose).

worth knowing our own cause

Zunächst wurden dabei die Grundlagen der Kausalität und der Adäquanz besprochen. Schäden liegen innerhalb der Adäquanz, wenn sie nicht bloß Folge einer außergewöhnlichen Verkettung unglücklicher Umstände sind; wenn sie also nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegen. 1 Im Rahmen des Schadenersatzes ist somit – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur für Schäden zu haften, deren Eintritt innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt. Dies zeigt freilich insbesondere auch Relevanz in Bezug auf die Zurechnung von Folgeschäden. 2

Zu Beginn wurden einige Entscheidungen als Beispiele für Vorliegen oder Nichtvorliegen von Adäquanz in allgemeiner Hinsicht dargestellt: In der Entscheidung 2 Ob 224/18g wurde etwa festgehalten, dass nach einem Unfall auf der Autobahn weitere Auffahrunfälle eine geradezu typische Folge seien, auch wenn sich ein Folgeunfall aufgrund einer Staubildung erst nach einigen Minuten oder in einer gewissen Entfernung zum Primärunfall ereigne. In der Entscheidung 6 Ob 90/17d ging es um einen Mobilfunkvertrag: Die Klägerin war Versicherungsvermittlerin und gewerbliche Vermögensberaterin. Für den Zeitraum eines halben Jahres kam es immer wieder zu erheblichen und weitreichenden Netzstörungen. Die Mobiltelefone waren regelmäßig nicht erreichbar; laufende Gespräche wurden auch in Gebieten mit grundsätzlich vorhandener Netzabdeckung abgebrochen. Nach Auflösung des Mobilfunkvertrages aus wichtigem Grund machte die Klägerin verschiedene Schäden geltend, wobei wegen der schlechten Erreichbarkeit auch Provisionsverluste iHv insgesamt knapp 7.000 EUR entstanden. Während das Erstgericht und das Berufungsgericht die Adäquanz bezüglich dieses Schadens verneinten, korrigierte der Oberste Gerichtshof (OGH) diese Ansicht: Der Umstand, dass das Nichtfunktionieren eines Mobilfunknetzes bei einem Versicherungsvermittler zu geschäftlichen Nachteilen führen könne, liege nicht völlig außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, gehöre es doch zu den typischen Tätigkeiten eines Vermittlers, mit seinen Kunden in einem intensiven Kontakt zu stehen. Der OGH bejahte also die Adäquanz, warf aber eine weitere (im fortgesetzten Verfahren zu klärende) Frage auf, nämlich ob der Vertrag wirklich vor solchen Schäden eines Versicherungsvermittlers schützen wollte (Rechtswidrigkeitszusammenhang).

Eine anschauliche Entscheidung, in der hingegen die Adäquanz verneint wurde, stellt die Entscheidung 2 Ob 223/09x dar: Der Kläger legte als Bauarbeiter eine 3 mm dicke Schnur aus einer Baugrube auf eine Fahrbahn aus. Die Beklagte überfuhr mit ihrem PKW ­bei Dämmerlicht und Nieselregen mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h die von ihr nicht wahrgenommene Schnur, die sich in der Folge im Profil eines Reifens verfing, sich aufwickelte und laufend verkürzte, bis sie den Kläger im Bereich der Arbeitsschuhe erfasste. Als sich die Leine straffte, hebelte sie die Füße des Klägers aus, sodass er durch die Luft geschleudert wurde und in die Baugrube stürzte. Der Kläger erlitt dadurch ua einen Schädelbruch und ist seither pflegebedürftig. Er begehrte unter anderem ca 318.000 EUR und eine monatliche Geldrente von ca 5.000 EUR. Zwar war im Bereich der Verschuldenshaftung in diesem Fall ohnehin kein rechtswidriges schuldhaftes Verhalten der Beklagten ersichtlich, doch hätte eine Haftung nach dem EKHG in Betracht kommen können. Der OGH konnte jedoch die Frage nach einem unabwendbaren Ereignis gem § 9 EKHG auf sich beruhen lassen, da er jedenfalls eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen annahm (auch im Bereich des EKHG ist Adäquanz im Hinblick auf den gefährlichen Betrieb des PKW zu prüfen): Es habe sich um einen ganz atypischen Kausalverlauf gehandelt.

In der Folge ging der Vortragende auf Adäquanz in Zusammenhang mit dem Hinzutreten eines Verhaltens eines Dritten ein. Besprochen wurden Fälle, in denen zur Schadensverursachung seitens des Erstschädigers auch noch ein schadenserhöhendes Verhalten eines Zweitschädigers hinzutritt; so etwa, wenn der aufgrund der Erstschädigung Verletzte im Krankenhaus nicht lege artis behandelt wird. In der Entscheidung 6 Ob 182/18k zB wurden bei einer Operation Schrauben nicht am verletzten äußeren, sondern am unverletzten inneren Schienbeinkopf angebracht; dabei handelte es sich um einen groben Behandlungsfehler. Fraglich war nun, ob die Erstschädigerin (Tierhalterin gem § 1320 ABGB) nur für die unmittelbaren Schäden oder darüber hinaus auch für die Schäden aufgrund der nicht lege artis durchgeführten Operation aufkommen muss. Der OGH hielt zur adäquaten Verursachung fest, dass es nur darauf ankomme, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich sei. Maßgeblich sei, ob die Möglichkeit eines bestimmten (weiteren) Schadenseintritts (aufgrund der ärztlichen Fehlbehandlung) so weit entfernt gewesen sei, dass nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte. In diesem Sinne bejahten schon bisher Rechtsprechung und herrschende Lehre grundsätzlich eine Haftung des Ersttäters für eine Vergrößerung der Folgen der Verletzung durch einen ärztlichen Kunstfehler. Die Folgen einer vorsätzlichen Fehlbehandlung des Arztes sind hingegen dem Erstschädiger nicht zuzurechnen. Während also allgemein bei leichter Fahrlässigkeit des Arztes von einer Zurechnung an den Erstschädiger im Rahmen der Adäquanz ausgegangen und bei Vorsatz des Arztes die Zurechnung ausgeschlossen wurde, beschäftigte sich die genannte Entscheidung nun mit grober Fahrlässigkeit. Außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt die Schädigung durch den Arzt nach dem OGH dann, wenn dem Arzt ein besonders schwerer Kunstfehler unterlaufen sei, wobei er in außergewöhnlich hohem Maße gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen habe. In casu sei dem Arzt zwar ein grober Behandlungsfehler unterlaufen, der aber nicht gänzlich außerhalb der menschlichen Erfahrung liege und das unwertbeladene Verhalten der Erstschädigerin nicht völlig verdränge. Diese Entscheidung wurde auch etwa in der Folge-Entscheidung 6 Ob 232/18p aufgegriffen.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf § 1302 ABGB. Bei vorsätzlicher Schädigung mehrerer Schädiger oder wenn sich die Anteile der einzelnen Schädiger nicht bestimmen lassen, haften sie solidarisch. Ansonsten – wenn sich also die Anteile bestimmen lassen und Fahrlässigkeit gegeben ist – haftet jeder nur für seinen Teil des verursachten Schadens. In den Fällen addierter Kausalität aber, wenn – wie hier – sowohl der Erstschädiger einen Schaden verursacht als auch der Arzt (als Zweitschädiger) einen zusätzlichen Schaden verursacht, wird die Anteilshaftung des § 1302 S 1 ABGB verneint. Dies wird aus einem Größenschluss zur alternativen Kausalität erklärt, bei welcher auch Solidarhaftung befürwortet wird, obwohl dort die Kausalität nur eine potentielle ist. 3

Ein wesentlicher Teil des Vortrages beschäftigte sich schließlich mit Fragen der Adäquanz in Zusammenhang mit dem Hinzutreten eines Verhaltens bzw einer Anlage des Verletzten selbst.

Wenn eine Handlung des Verletzten hinzukommt, die den Schaden vergrößert, verneint der OGH grundsätzlich eine Haftung des Erstschädigers für diese Folgeschäden, also für die Schadensvergrößerung, wenn diese auf einem selbstständigen, durch den haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgeforderten Entschluss des Verletzten selbst beruhe (RIS-Justiz RS0022912). Eine Haftung für die Folgeschäden ist demnach zu verneinen, wenn als weitere Ursache ein freies menschliches Handeln hinzutrete, mit dem der Schädiger nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen brauche (1 Ob 253/01i). In einigen Entscheidungen wurde allerdings ein Suizid von Schwerverletzten als adäquat kausale Unfallfolge beurteilt (zB 2 Ob 27/91; siehe auch 2 Ob 135/07b).

Um psychische Folgen einer Körperverletzung ging es in der Entscheidung 2 Ob 221/18s: Infolge von Verletzungen aufgrund eines Verkehrsunfalls (insbesondere Prellungen und Schnittverletzungen) entwickelte der Kläger eine psychische Erkrankung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung in Verbindung mit einer dissoziativen Störung. Aufgrund dieser psychischen Beeinträchtigung konnte er seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer für einen gewissen Zeitraum nicht mehr nachkommen. Aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Klägers kam es jedoch – so die Feststellungen des Erstgerichts – beim Kläger in weiterer Folge zu einer posttraumatischen Verbitterungsstörung, in die er fast übergangslos verfiel. Deren Ursache lag darin, dass sich Erwartungen des Klägers, insbesondere, dass er davon ausgegangen war, weiterhin aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht arbeitsfähig zu sein, nicht erfüllt hatten. Die depressive Ausgestaltung der Verbitterungsstörung lässt sich auf das verletzliche „psychische Kostüm“ des Klägers zurückführen: Der Kläger verfiel nur aufgrund der verletzlichen Persönlichkeitsstruktur – also nur aufgrund einer besonderen Veranlagung (im weitesten Sinne; psychischer Zustand vor Schädigung) – in eine posttraumatische Verbitterungsstörung. Der OGH ging unter anderem auf die Adäquanz ein und hielt unter Berufung auf ältere Entscheidungen4 fest: Krankheitserscheinungen, die durch den Unfall nur deshalb ausgelöst wurden, weil die Anlage zur Krankheit beim Verletzten bereits vorhanden war, seien im Sinne der Adäquanz in vollem Umfang Unfallfolge, sofern die krankhafte Anlage nicht auch ohne die Verletzung „in absehbarer Zeit“ den gleichen gesundheitlichen Schaden herbeigeführt hätte. Daher hafte der Schädiger etwa auch für die Folgen einer anlagebedingten, aber durch den Unfall ausgelösten Neurose, wobei es unerheblich sei, ob diese erst durch den Unfall und seine Folgen entstanden oder durch eine schon vor dem Unfall bestehende psychische Beschaffenheit begünstigt worden sei. Dies gelte auch für Fälle der so genannten Begehrungsneurosen, also der krankheitswertigen Wunschvorstellung, aufgrund des Unfalls weiterhin krank zu sein, selbst wenn diese ihre Ursache nicht mehr nur in der Verletzung durch den Unfall, sondern auch in der Persönlichkeitsstruktur des Verletzten habe. In diesem Sinne wurde in casu auch die posttraumatische Verbitterungsstörung, die durch den Unfall (mit-)ausgelöst wurde, als adäquate Unfallfolge angesehen.

In der Entscheidung 7 Ob 103/19a entdeckte die damals zwölf Jahre alte Klägerin nach dem Öffnen einer von der Beklagten hergestellten Konservendose mit Hühner-Frühstücksfleisch darin ein etwa 1 x 1 cm großes Metallstück. Sie wurde durch den Metallteil, der sich schon in ihrem Mund befand, körperlich nicht verletzt. Sie entwickelte jedoch seitdem eine krankheitswertige psychische Zwangsstörung (Kontrollzwang): Sie untersucht jede Mahlzeit, weil sie Angst hat, dass sich darin wieder ein Fremdkörper befinden könnte, und püriert die Nahrung vor dem Verzehr. Nach den Feststellungen war das Auffinden des Metallstücks in einem Ausmaß von 10 bis 15 % für die Entstehung ihrer Erkrankung verantwortlich. Die Klägerin begehrte, gestützt auf das Produkthaftungsgesetz (PHG), von der Beklagten als Herstellerin Schadenersatz und Schmerzengeld, weil sie erst durch den Vorfall massive psychische Schäden erlitten habe. Der OGH hielt fest, dass von Kausalität ausgegangen werden müsse, weil feststehe, dass der auf den Produktfehler zurückzuführende Vorfall die Erkrankung der Klägerin im Ausmaß von 10 bis 15 % verursacht habe. Dass ein Ereignis wie hier eine krankheitswertige psychische Zwangsstörung (zumindest mit-)auslösen könne, liege nicht außerhalb jedweder vorhersehbaren Erfahrung, sodass Adäquanz bejaht wurde. Bei dieser Entscheidung ging es also genau betrachtet nicht um die Adäquanz eines Folgeschadens, sondern eines Primärschadens (Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit nach § 1325 ABGB). Der OGH sprach einmal mehr aus, dass das Risiko einer für den Schaden mitursächlichen Anlage des Geschädigten – mit der Grenze der Adäquanz – der schuldhaft und kausal handelnde Schädiger zu tragen habe. Aus diesem Grund bleibe der Schädiger grundsätzlich für den gesamten Schadenserfolg verantwortlich, wenn zwei Umstände nur zusammen, beispielsweise eine unmittelbar durch den Unfall herbeigeführte Verletzung zusammen mit einer besonderen Veranlagung des Verletzten, die Schwere des Verletzungserfolgs bedingen würden.5 In erster Instanz bestritt die Beklagte jedoch nicht nur die Adäquanz, sondern auch Kausalitätsaspekte; sodass der OGH diesbezüglich auf eine Klärung6 im fortgesetzten Verfahren verwies.

Abgerundet wurde der Vortrag mit Überlegungen zu praktischen Auswirkungen dieser Entscheidungen, einer Aufschlüsselung in verschiedene (denkbare) Fallkonstellationen unter Bezugnahme auf Kausalitäts- und Adäquanzfragen sowie § 1304 ABGB und einer damit verbundenen Diskussion der Haftung für Schäden, die nur im Zusammenwirken mit einer besonderen Anlage entstanden bzw aufgrund der Anlage früher eintraten, als es ohne das schädigende Ereignis der Fall gewesen wäre.

 

 

 


1 Es geht damit insbesondere um die Voraussehbarkeit der Folgen eines Verhaltens (oder Ereignisses). Unzutreffend wäre es dagegen, stattdessen auf eine Interessenabwägung abzustellen (Reischauer in Rummel3 § 1295 Rz 14a).

2 Hinzuweisen ist auch auf den Konnex zum Rechtswidrigkeitszusammenhang: Der konkrete Normzweck (Schutzzweck) einer übertretenen Norm ist stets zu beachten. Schutzgesetze wollen üblicherweise adäquaten Folgen ihrer Übertretung vorbeugen (siehe nur Reischauer in Rummel3 § 1295 Rz 12).

3 Reiche bei alternativer Kausalität schon die potentielle Kausalität für die solidarische Haftung, dann müsse bei addierter Kausalität erst recht die feststehende Kausalität für die solidarische Haftung genügen (Reischauer in Rummel3 § 1295 Rz 20, § 1302 Rz 13a; so auch 6 Ob 232/18p).

4 2 Ob 143/02x; 1 Ob 81/00v; 2 Ob 231/71.

5 Siehe auch 7 Ob 160/09v; RIS-Justiz RS0022684.

6 Insbesondere auf die Klärung der Frage, ob die Erkrankung auch ohne den Vorfall eingetreten wäre.

By: Ass.-Prof. Mag. Dr. Thomas Aigner
Published: Jan 19, 2020